/ „Das Potential für das Gute ist erstaunlich“
/ nic.at News - 07.06.2024 10:00
„Das Potential für das Gute ist erstaunlich“
Peter Zinn ist Cyber Security Specialist und Experte für Künstliche Intelligenz. Auf dem Domain pulse in Wien sprach er über verkohlte Papyrusrollen, gefährliche Drohnen und die Herausforderungen für die IT-Sicherheit.
Was ist aus Ihrer Sicht KI?
Zinn: Künstliche Intelligenz ist der Versuch, menschliches Lernen und Denken auf den Computer zu übertragen. Computersysteme und Softwareprogramme versuchen Aufgaben auszuführen, die menschliche Intelligenz erfordern. Es ist auch ein sehr gehyptes Thema. Vor allem seit Sprachmodelle wie ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich sind, liegen KI und insbesondere maschinelles Lernen im Trend. KI ist ein Werkzeug und in vielen Bereichen ein sehr mächtiges Tool.
Haben Sie dafür Beispiele?
Zinn: In der Antibiotika-Forschung gibt es dank KI neue Möglichkeiten. Es sterben jährlich Hunderttausende Menschen aufgrund multiresistenter Keime. Antibiotika als Waffen im Kampf gegen ansteckende Krankheiten stehen kurz davor, wirkungslos zu werden. Die Suche nach neuen Antibiotika ist aber zeitintensiv und teuer. KI kann dabei helfen, neue Antibiotika zu entwickeln und die Suche enorm zu beschleunigen.
Ein anderes Beispiel hat einen geschichtlichen Hintergrund: Im Jahr 79 nach Christus begrub der Vesuv die römischen Städte Pompeji und Herkulaneum unter Lava und Asche. Darunter befand sich auch eine Bibliothek mit römischen Schriftrollen. Bei einer Ausgrabung fand man die verkohlten Schriftrollen mit den unlesbaren, antiken Texten. KI-Experten ist es nun gelungen, die 2000 Jahre alten Texte aus verkohlten Papyrusrollen, zu rekonstruieren. Das ist erstaunlich!
Es gibt aber auch Schattenseiten …
Zinn: Ja, natürlich. Da gibt es auch viele Beispiele. So sollen im Ukraine-Krieg KI-unterstützte Drohnen eingesetzt werden. Wir werden also einen Krieg erleben, in welchem KI zum Töten von Menschen eingesetzt wird. Gefährlich ist aber nicht die KI, sondern der Mensch, der sie einsetzt.
Was bedeutet KI für den Bereich Cyber Security?
Zinn: KI wird zunehmend bei Cyberangriffen eingesetzt. Die Technologie wird von beiden Seiten genutzt – also zum Angriff und zur Verteidigung – und wird zu einem Wettrüsten führen. Aber: Die KI kann vor allem das Security Operations Center (SOC) unterstützen. Das SOC-Team soll Cyberkriminelle abwehren und im eigenen System identifizieren. In das System zu kommen, ist für die meisten Kriminellen einfach. Es ist aber wichtig, diese im eigenen System zu erkennen. Die Analyst:innen müssen Anomalien in der Unternehmens-IT identifizieren. Und das möglichst früh. So kann das Netzwerk geschützt werden. Das geht aber mit sehr viel Arbeit einher. KI kann helfen, große Datenmengen zu analysieren, um Anomalien oder verdächtiges Verhalten zu erkennen.
Was wird die größte Herausforderung im Umgang mit KI?
Zinn: Das größte Problem wird es sein, zu unterscheiden, was echt ist und was nicht. Wir haben bereits heute mit Fake News zu kämpfen, aber das nimmt künftig neue Dimensionen an. Das Thema Voice Cloning wird beispielsweise im Vorfeld der US-Wahlen schon eine Rolle spielen. Wir werden sowohl von Joe Biden als auch von Donald Trump KI-generierte Zitate hören und sehen.
Und wie finden wir heraus, ob die Zitate echt sind?
Zinn: Eine Möglichkeit ist es, auf die natürliche Atmung zu achten. KI wird die Sprachmuster kopieren, aber nicht die regulären Atemmuster. Und man kann natürlich auch eine KI bauen und bitten, Fälschungen zu erkennen.
Ist KI also ein gutes oder ein schlechtes Werkzeug?
Zinn: Weder noch. In den Schlagzeilen wird es entweder als das Allheilmittel oder als die Wurzel allen Übels dargestellt. Nichts davon stimmt. Wir sollten keine Angst vor Künstlicher Intelligenz haben. Nur vor den Menschen, die KI „trainieren“ und nutzen. Momentan wird KI für sehr viele gute Dinge eingesetzt, das Potential für das Gute ist erstaunlich.
Peter Zinn:
Der niederländische Cyber Security Specialist Peter Zinn hat Informatik studiert und wurde 2007 strategischer Berater des High Tech Crime Teams der holländischen Polizei. Er hat über zehn Jahre Erfahrung als Vordenker in Sachen Cybersicherheit in der Strafverfolgung, hat mit Interpol, Europol, dem FBI und anderen Behörden zusammengearbeitet und bei Microsoft, RSA, Kaspersky und vielen anderen renommierten IT Unternehmen Vorträge gehalten. Ende 2016 wechselte er zu einer Vollzeittätigkeit als Keynote Speaker, Trainer und Berater. Mehr Infos zu Peter Zinn finden Sie unter https://peterzinn.nl/
Foto: (c) Anna Rauchenberger